Amyotrophe Lateralsklerose – was ist neu?
Bericht:
Martha-Luise Storre
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Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von zwei bis vier Jahren ist die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) eine oft rasch verlaufende Erkrankung, die vergleichsweise häufig auftritt. Dennoch zählt sie laut der Leitlinie zu den seltenen Erkrankungen, da die Prävalenz aufgrund der geringen Lebenserwartung insgesamt gering ist.1 Im Rahmen des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) diskutierten führende Expert:innen neue Erkenntnisse zur Therapie der Motoneuronerkrankung.
Keypoints
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Eine pharmakologische Modulation glialer Aktivierung kann eine Neuroprotektion begünstigen.
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Diese Modulation kann durch zwei pflanzenbasierte Substanzen erfolgen, die einen Shift der Mikrogliaphänotypen auslösen.
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Durch einen Ausgleich des Energiedefizits können positive Effekte auf das Überleben von ALS-Betroffenen erzielt werden.
Inwieweit die gliale Aktivierung pharmakologisch beeinflusst und damit ein Beitrag zur Neuroprotektion geleistet werden kann, darüber berichtete Prof. Dr. Susanne Petri, kommissarische Direktorin der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Bei ALS tragen zahlreiche Mechanismen zum Zelltod bei: Dazu zählen unter anderem Glutamat-Toxizität, oxidativer Stress, Proteinaggregierung sowie axonale Transportdefizite. Aber auch nichtneuronale Zellen, insbesondere Mikrogliazellen und Astrozyten, die proinflammatorische Zytokine und Mediatoren freisetzen, können zur Neuroinflammation und zum Zelltod beitragen.2
Switch der Phänotypen
Mikrogliazellen können aus dem Ruhezustand heraus in zwei vereinfachend als M1- und M2-Mikroglia bezeichnete Phänotypen differenziert werden, so Petri. Die Aktivierung durch Lipopolysaccharid (LPS) induziert den M1-Phänotyp, der überwiegend proinflammatorisch wirkt und unter anderem Interleukin(IL)-1β, IL-6, TNF-α und induzierbare Stickoxid-Synthetase (iNOS) freisetzt. Wird die ruhende Zelle durch IL-4 oder IL-13 aktiviert, entsteht der M2-Pnänotyp, der antiinflammatorisch und neuroprotektiv durch Freisetzung entsprechender Mediatoren, wie IL-4, IL-10 oder IL-13, wirkt.
In der Literatur gebe es bereits Berichte aus anderen Modellen zu Substanzen, die einen Phänotypshift von M1- zu M2-Mikroglia induzieren können, führte die Expertin aus. Dies seien zwei pflanzenbasierte Substanzen: das aus Zitrusfrüchten gewonnene Naringenin (NAR) und das Mutterkrautderivat Parthenolid (PTL). Diese Substanzen wurden kürzlich in murinen Primärkulturen untersucht – die Daten befinden sich noch im Reviewprozess. Vorab berichtete Petri, dass PTL den mikroglialen Phänotyp in vitro beeinflusst. Hierfür wurde die mRNA-Expression proinflammatorischer Mikrogliamarker in PTL-behandelten und unbehandelten Wildtyp- und transgenen Mikrogliazellen analysiert. Es konnte gezeigt werden, dass durch die LPS-Aktivierung TNF-α, IL-1β und iNOS zunächst hochreguliert wurden. Die Behandlung mit PTL regulierte diese anschließend wieder herunter. Ein paralleler Effekt konnte auch auf Proteinebene gezeigt werden, so Petri. Nach Mikrogliaaktivierung steigerte PTL zudem das Überleben von Motoneuronen in Cokultur. Darüber hinaus verändere das Sekretom der mit PTL behandelten Mikroglia auch den astrozytären Phänotyp. Analysen mit NAR hätten zu ähnlichen Ergebnisse geführt.
Weitere Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Petri im SOD1-G93A-Mausmodell ergaben eine signifikante Verzögerung des Krankheitsausbruchs mit dosisabhängigem Effekt. Zudem zeigte sich ein besserer Allgemeinzustand in den mit PTL/NAR behandelten Tieren. Auch im Test zum motorischen Verhalten zeigten sich signifikante Verbesserungen, referierte die Expertin.
Im Ultraschall zeigten sich sehr eindeutige Effekte hinsichtlich der Zunahme der Nervenquerschnittsfläche des Nervus ischiadicus. Histologisch zeigte sich eine signifikante Reduktion der Entzündungsreaktion im lumbalen Rückenmark. Die Untersuchungen dauern noch an.
Zusammenfassend lasse sich also eine Reversibilität der LPS-induzierten Mikrogliaaktivierung mit dem positiven Effekt einer indirekten Modifikation der Astrozytenaktivierung und Induktion eines neuroprotektiven Phänotyps zeigen, schloss Petri.
Ketogene Ernährung bei ALS
Orale Ketonkörper können als Therapieoption zur Kompensation des Energiedefizits bei Patient:innen mit ALS zum Einsatz kommen, erläuterte Christine Herrmann, Assistenzärztin an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Ulm.
Es sei bekannt, dass ALS-Betroffene einen Hypermetabolismus aufweisen und dies zu einem verkürzten Überleben führen kann, so Herrmann. Eine multizentrische Studie im deutschen MND-Netzwerk untersuchte den Effekt einer hochkalorischen, fettreichen Nahrungsergänzung (HCFD; 100% Lipide, 405kcal/d) vs. Placebo über 18 Monate bei 201 Patient:innen.3 In der Gesamtkohorte zeigte sich demnach kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des Überlebens. In der Subgruppe der „fast progressors“ konnte jedoch eine Verlängerung des Überlebens (ALSFRS-R-slope >0,62/Monat) erzielt werden (p=0,02). Der Verlust pro Monat in der ALS Functional Rating Scale (ALSFRS) nahm mit einer HCFD im Vergleich zu Placebo ab.4 Auch die Neurofilamente reduzierten sich in der Interventionsgruppe über den gesamten Beobachtungszeitraum, was laut Herrmann ebenfalls ein Hinweis auf die Wirksamkeit einer solchen Nahrungsergänzung sein kann.
Eine ketogene Ernährung ist eine fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung, unter der es zu einem Glukosemangel kommt. Daraufhin werden in der Leber im Rahmen der Ketose Ketonkörper aus Fettsäuren produziert. Diese Ketonkörper passieren die Blut-Hirn-Schranke via MCT-1 und gelangen dann zu den Mitochondrien in den Neuronen.5 Ketonkörper sind hochenergetische Substrate, die im Vergleich zu Glukose mehr ATP pro Mol aufweisen.6 Sie führen zu einer Funktionsverbesserung des Komplexes I in der mitochondrialen Atmungskette.7
In einem ALS-Mausmodell wurden sechs Mäuse ketogen ernährt und mit fünf Mäusen mit Standardernährung verglichen:8 Es zeigte sich eine signifikante Verlangsamung des Verlusts der motorischen Funktionen hinsichtlich der „time to failure“ (Zeitraum bis zum Verlust von 50% der motorischen Funktion) (siehe Abb. 1). Zudem erzielte die Interventionsgruppe ein höheres Körpergewicht.
Abb. 1: Unter einer ketogenen Ernährung konnten die motorischen Funktionen von ALS-Mäusen signifikant länger erhalten werden (mod. nach Zhao et al. 2006)8
Umsetzung in der Praxis
Die ketogene Ernährung bei ALS-Patient:innen umzusetzen sei durchaus eine Herausforderung, berichtete Herrmann. So sei für eine langfristige Ernährungsumstellung eine exakte Berechnung von Kohlenhydraten notwendig, was eine hohe Compliance erfordere. Neben den hohen Kosten für die Lebensmittel stehe zudem bei Dysphagie nur eine limitierte Auswahl an Lebensmitteln zur Verfügung. Daher werde aktuell in der laufenden KETO-ALS-Studie die Gabe von Ketonkörpern als fertiges Produkt zur oralen Applikation untersucht. Die Ergebnisse werden im Verlauf dieses Jahres erwartet. Eine zweite, für 2024 geplante Studie (PEGASUS) soll die ketogene Diät bei ALS-Patient:innen mit PEG-Sonde evaluieren. In den bisherigen Studien mit dem Ziel eines Ausgleichs des Energiedefizits konnten positive Effekte hinsichtlich des Überlebens, des BMI sowie des Biomarkers Neurofilament light chain (NfL) gezeigt werden, fasst Herrmann zusammen. Dabei erweisen sich Ketonkörper als ein hochenergetisches Substrat.
Quelle:
Symposium „Amyotrophe Lateralsklerose – was gibt es Neues?“ im Rahmen des DGN-Kongresses am 11. November 2023 in Berlin
Literatur:
1 Ludolph A et al.: Motoneuronerkrankungen, S1-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (zuletzt abgerufen am 11.04.2024) 2 Lee J et al.: Astrocytes and microglia as non-cell autonomous players in the pathogenesis of ALS. Exp Neurobiol 2016; 25(5): 233-40 3 Ludolph AC et al.: Effect of high-caloric nutrition on survival in amyotrophic lateral sclerosis. Ann Neurol 2020; 87(2): 206-16 4 Dorst J et al.: Effect of high-caloric nutrition on serum neurofilament light chain levels in amyotrophic lateral sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2020; 91(9): 1007-9 5 Kim DY, Rho JM: The ketogenic diet and epilepsy. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2008; 11(2): 113-20 6 Veech RL: The therapeutic implications of ketone bodies: the effects of ketone bodies in pathological conditions: ketosis, ketogenic diet, redox states, insulin resistance, and mitochondrial metabolism. Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids 2004; 70(3): 309-19 7 Tieu K et al.: D-beta-hydroxybutyrate rescues mitochondrial respiration and mitigates features of Parkinson disease. J Clin Invest 2003; 112(6): 892-901 8 Zhao Z et al.: A ketogenic diet as a potential novel therapeutic intervention in amyotrophic lateral sclerosis. BMC Neurosci 2006; 7: 2
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