
Trainingstherapie – ein Plädoyer für Training als therapeutische Maßnahme
Autorin:
Dr. Anita Birklbauer
Sportwissenschafterin & Trainingstherapeutin
Taxach-Rif
E-Mail: praxis@sportrix.at
In einer Welt, in der Bewegungsmangel zu den größten Gesundheitsrisiken zählt, gewinnt körperliche Aktivität als Heilmittel an Bedeutung. Wissenschaftliche Studien belegen: Bewegung ist nicht nur Prävention, sondern auch eine wirkungsvolle Therapie bei chronischen Erkrankungen. Mit der neuen Möglichkeit, Trainingstherapie auf Rezept auch im nicht stationären Bereich in Anspruch nehmen zu können, wird Österreich zu einem der Vorreiter bei dieser Art der Gesundheitsversorgung.
Keypoints
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Körperliche Aktivität dient nicht nur der Prävention, sondern auch als evidenzbasierte Therapie für zahlreiche chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes oder Krebs.
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Seit 1.1.2025 kann Trainingstherapie auch im niedergelassenen Bereich auf Rezept genutzt werden, wodurch die Versorgung individueller und flexibler wird.
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Trainingstherapeut:innen entwickeln maßgeschneiderte Programme, die sich an die Bedürfnisse und gesundheitlichen Herausforderungen der Patient:innen anpassen.
Bewegung als Medizin
Regelmäßige körperliche Aktivität, Bewegung und Training stellen in der Prävention eine bekannte Möglichkeit dar, dem vorherrschenden Bewegungsmangel bzw. inaktiven Lebensstil, den wesentlichen und immer dominanteren Risikofaktoren für die Sterblichkeit und das Entstehen diverser nichtübertragbarer Krankheiten entgegenzuwirken. Zahlreiche Studien belegen aber weiters, dass Bewegung als Therapie von chronischen Erkrankungen (z.B. der inneren Organe wie zum Beispiel des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes mellitus oder auch Lungen- oder Krebserkrankungen) ein nichtmedikamentöses Therapeutikum mit Evidenzklasse Ia darstellt.1
Gleichzeitig ermöglichen gezieltes Training und regelmäßige Bewegung ein unabhängigeres Leben, weil so die Teilhabe noch länger in angemessenerer Form möglich ist (u.a. aufgrund der Effekte auf die Muskelmasse). Generell belegen neuere Studien immer deutlicher, wie wichtig es ist, auch bei bereits bestehenden Erkrankungen aktiv mit dem „Medikament“ Bewegung eigenständig mitzuhelfen, um die Lebensqualität zu steigern und den Krankheitsverlauf besser zu bewältigen oder auch den Verlauf positiv zu unterstützen, d.h. Bewegung als Therapie und Rehabilitation.2
In einem aktuellen Beitrag zum Thema „Bewegung ist Medizin“ wird betont, wie wichtig sowohl Bewegung als auch Medizin als Bestandteile der Erhaltung und Förderung der Gesundheit sind, dass aber viele wichtige Aspekte des Bewegungs- und Trainingsbereiches noch kaum berücksichtigt werden und u.a. eine umfassendere Integration von Sportwissenschaftern/Physiologen in ein Gesundheitssystem als notwendig erachtet wird.3
In der Therapie und Rehabilitation ist die Trainingstherapie aufgrund jüngster wissenschaftlicher Erkenntnisse zu einem wichtigen Teil geworden. Ohne Bewegung geht fast nichts mehr und Bewegung und Training sind als logische Konsequenz auch aus diversen Leitlinien nicht mehr wegzudenken.4,5
Mit Jahresbeginn steht die Trainingstherapie bei Sportwissenschafter:innen auch all jenen zur Verfügung, die sich nicht in einer entsprechenden stationären oder ambulanten Einrichtung zur klinischen Versorgung oder Rehabilitation befinden.
Denn bisher konnten Trainingstherapeut:innen nur unter Aufsicht und in einem Angestelltenverhältnis arbeiten. Seit 1.1.2025 kann Trainingstherapie in Wohnortnähe bzw. unabhängig von einem Rehabilitationsverfahren in Anspruch genommen werden. Durch diese Änderung erfährt die gesundheitliche Versorgung in Österreich einen großen Schritt zu einer allgemeinen Verbesserung und schließt damit zu Ländern wie Australien, Kanada oder Neuseeland auf, in denen Trainingstherapeut:innen schon seit Jahren etabliert sind.6 Mit entsprechender Zuweisung eines Arztes/einer Ärztin zum Therapeuten/zur Therapeutin wird die Trainingstherapie auf Rezept ermöglicht. Dies bedeutet auch in der Versorgung eine erweiterte Verfügbarkeit und Flexibilität und vor allem auch eine individuelle Betreuung für all jene, die auf diese therapeutische Unterstützung angewiesen sind.
Wer genau sind Trainingstherapeut:innen?
Trainingstherapeut:innen sind Sportwissenschafter:innen, also Personen mit akademischer Ausbildung, die qualifiziert sind, Trainings- und Rehabilitationsprogramme für Personen mit klinischen Diagnosen zu verfassen und zu adaptieren sowie nicht invasive Verfahren für individuelle Bewegungs- und Trainingsprogramme durchzuführen. Trainingstherapeut:innen werden nach dem entsprechenden Abschluss des Studiums vom Gesundheitsministerium formell zugelassen und nach der Akkreditierung im sogenannten Trainingstherapie-Beirat im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zum Arbeiten als Trainingstherapeut:innen berechtigt und werden entsprechend auf der Liste der Trainingstherapeut:innen gelistet.
Was versteht man unter Trainingstherapie?
Trainingstherapie umfasst einen komplexen, dynamischen Prozess, bei dem entsprechend strukturierte und angepasste Übungen planmäßig und zielorientiert eingesetzt werden. Hauptziele dabei sind die Verbesserung der physiologischen Funktionen bei bereits bestehenden chronischen Krankheiten oder Verletzungen in verschiedenen Bereichen (z.B. Herz-Lungen-, Stoffwechsel-, Muskel-Skelett-, neurologische, Krebs-, Geistes- oder Nierenkrankheiten oder altersbedingte Krankheiten) und auch die Prävention von Verletzungen und chronischen Krankheiten durch körperliche Betätigung.7,8 Sie vermittelt dabei Bewegung und Training gemäß den aktuellen Standards, Strategien, Leitlinien und Forschungsergebnissen im Bereich der Bewegungsphysiologie sowie der Gesundheit und Fitness.
Insbesondere bei chronisch kranken Menschen sind die Wiederherstellung der Funktionalität und die Steigerung der Unabhängigkeit, der Lebensqualität und des Wohlbefindens von entscheidender Bedeutung, u.a. um Langzeitpflege zu vermeiden. Entgegen einem „One size fits all“-Prinzip bieten Trainingstherapeut:innen maßgeschneiderte, individuelle Trainingsprogramme, die den speziellen Bedürfnissen und Anforderungen gerecht werden und auf eine individualisierte Verschreibung von Übungen und Trainingsintensitäten unter Berücksichtigung der klinischen Ziele, der persönlichen Bedürfnisse sowie der Verfügbarkeit von Ressourcen abzielen. Wesentlicher Anker in der Trainingstherapie sind trainingsphysiologische Prozesse, die schon bei Gesunden einen wichtigen Stellenwert haben und denen in der Therapie eine noch entscheidendere Rolle zukommt, da zum Beispiel unterschiedliche Erkrankungen unterschiedliche Erholungsdauern bedingen und das Training deswegen entsprechend den Diagnosen individuell konzipiert werden muss.
Fazit
Trainingstherapie, eine in aktuellen nationalen und internationalen Behandlungsrichtlinien mit höchstem Evidenzgrad etablierte Therapie, kann seit 1.1.2025 ebenfalls im niedergelassenen Bereich in Anspruch genommen werden.
Literatur:
1 Lee IM et al.: Effect of physical inactivity on major non-communicable diseases worldwide: an analysis of burden of disease and life expectancy. Lancet 2012; 380(9838): 219-29 2 Dibben GO et al.: Exercise-based cardiac rehabilitation for coronary heart disease: a meta-analysis. Eur Heart J 2023; 44(6): 452-69 3 Li S, Laher I: Rethinking ‚Exercise is medicine‘. EXCLI Journal 2020; 19: 1169-71 4 Hayes SC et al.: The Exercise and Sports Science Australia position statement: Exercise medicine in cancer management. J Sci Med Sport 2019; 22(11): 1175-99 5 Pelliccia A et al.: 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease: The Task Force on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J2021; 42(1): 17-96 6 Carrard J et al.: Exercise science graduates in the healthcare system: a comparison between Australia and Switzerland. Front Sports Act Living 2022; https://doi.org/10.3389/fspor.2022.766641 7 Hofmann P et al.: Grundprinzipien der therapeutischen Trainingslehre. Springer, 2009; 329-51 8 Rausch LK et al.: Position statement regarding the current standing of exercise therapy in Austria (Positionspapier zur Situation der Trainingstherapie in Österreich). 2024; https://doi.org/10.36950/2024.9ciss001
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